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BSG-Urteil: Gilt für Sie als „Pool-Arzt“ im Notdienst die Sozialversicherungspflicht?
Ein Zahnarzt, der als sogenannter „Pool-Arzt“ vertragsärztliche Notdienste macht, ist nicht automatisch selbstständig tätig, nur weil er mit seiner Notdiensttätigkeit an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilnimmt. Um den Beschäftigungsstatus und die damit einhergehenden Versicherungspflichten zu ermitteln, sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls maßgebend – wie bei anderen Tätigkeiten auch.
Dies hat der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) am 24.10.2023 entschieden und damit der Klage eines Zahnarztes stattgegeben (Az.: B 12 R 9/21 R).
So kam es zur Entscheidung
Ein Zahnarzt hatte 2017 seine Praxis verkauft und war nicht mehr zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen. In den Jahren danach übernahm er hauptsächlich am Wochenende immer wieder Notdienste.
Diese wurden von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) organisiert, die ein Notdienstzentrum betrieb und dort Personal und Sachmittel stellte. Der Zahnarzt erhielt ein fixes Stundenhonorar. Er rechnete seine Leistungen also nicht individuell patientenbezogen ab.
Nach einem Streit zwischen KZV und Zahnarzt wollte dieser klären lassen, ob er in Bezug auf die Rente wegen seiner Teilnahme am vertragszahnärztlichen Notdienst tatsächlich als selbstständig galt.
Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund und beide Vorinstanzen sahen den Zahnarzt als selbstständig tätig an. Das BSG beurteilte dies anders.
Das sagt das Gericht
Allein die Teilnahme am vertragszahnärztlichen Notdienst führt nicht automatisch zu einer selbstständigen Tätigkeit. Die konkreten Umstände müssen insgesamt betrachtet und abgewogen werden.
Demzufolge war der Zahnarzt beschäftigt tätig, und zwar aufgrund seiner Eingliederung in die von der KZV organisierten Abläufe. Auf die Abläufe hatte er keinen entscheidenden, erst recht keinen unternehmerischen Einfluss: Stattdessen fand er eine von anderer Seite organisierte Struktur vor, in die er sich fremdbestimmt einfügte.
Auch wurde der Zahnarzt unabhängig von konkreten Behandlungen stundenweise bezahlt – er verfügte nicht einmal über eine Abrechnungsbefugnis, die für das Vertragszahnarztrecht eigentlich typisch ist. Dass er bei der konkreten medizinischen Behandlung als Zahnarzt frei und eigenverantwortlich handeln konnte, fällt nicht entscheidend ins Gewicht.
In Summe sah das Gericht den Zahnarzt also als unselbstständig beschäftigt an. Infolgedessen unterlag er der Versicherungspflicht.
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Mehr zum Thema Scheinselbständigkeit finden Sie auf unserem Blog.
Unter Freiberuflichkeit können Sie noch einmal nachlesen, wodurch sich ein freier Beruf auszeichnet und was der Unterschied zur Selbstständigkeit ist.
Der Morgen danach: Rechtfertigt ein Trinkgelage im Betrieb die fristlose Kündigung?
Ein Trinkgelage in der Weinkellerei ihrer Arbeitgeberin nach einer Weihnachtsfeier führte bei zwei Mitarbeitern zur fristlosen Kündigung. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte sich am 12.9.2023 (Az.: 3 Sa 284/23) mit folgender Frage zu beschäftigen: Reichte das Verhalten als wichtiger Kündigungsgrund aus – oder wäre eine vorherige Abmahnung notwendig gewesen?
So kam es zur Entscheidung
Ein Arbeitnehmer war seit dem 1.6.2021 als Gebietsmanager Mitte (NRW) im Außendienst bei einer in Süddeutschland ansässigen Winzergenossenschaft beschäftigt. Am 12.1.2023 fand dort eine Weihnachtsfeier statt. Es gab zunächst eine Begrüßung mit Sekt im Betrieb. Danach fuhren die Beschäftigten gemeinsam mit einem Bus in ein Restaurant.
Gegen 23 Uhr fuhren diejenigen Beschäftigten, die wollten – darunter der klagende Arbeitnehmer –, zurück zur firmeneigenen Kellerei. Eine Fortsetzung der Weihnachtsfeier war jedoch nicht vorgesehen.
Der klagende Arbeitnehmer traf sich zunächst mit zwei weiteren Kollegen in einem ca. 500 m vom Betrieb entfernten Hotel, um dort gemeinsam eine Flasche Wein zu trinken. Danach gingen er und ein weiterer Kollege zurück zum Betrieb. Das Tor zum Betriebsgelände öffneten sie mit der Zugangskarte des Kollegen.
Im Aufenthaltsraum des Betriebs tranken die beiden vier Flaschen Wein aus dem Lagerbestand der Arbeitgeberin. Am nächsten Morgen standen die leeren Flaschen des Trinkgelages auf dem Tisch. Im Mülleimer befanden sich zahlreiche Zigarettenstummel. Auf dem Fußboden lag eine zerquetschte Mandarine, die zuvor an die Wand geworfen worden war. Einer der beiden Mitarbeiter hatte sich neben der Eingangstür erbrochen. Das Hoftor stand offen.
Der Kollege des Arbeitnehmers wurde am Abend der Weihnachtsfeier auf dem Nachhauseweg von der Polizei aufgegriffen und wegen seiner starken Alkoholisierung zum Ausschluss einer Eigengefährdung nach Hause gefahren. Dieser Kollege räumte am 16.1.2023 gegenüber der Arbeitgeberin ein, „etwas Scheiße gebaut“ zu haben und bezahlte den Wein.
Die Arbeitgeberin hörte den Betriebsrat am 19.1.2023 an und kündigte nach dessen Zustimmung vom 23.1.2023 das Arbeitsverhältnis der beiden Arbeitnehmer fristlos und hilfsweise fristgerecht. Dagegen legte der eine Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage ein.
Das Arbeitsgericht Wuppertal (1 Ca 180/23) gab dieser Klage Recht. Es entschied, dass es ausgereicht hätte, den Arbeitnehmer für sein Verhalten abzumahnen. Das sah das Landesarbeitsgericht Düsseldorf in der mündlichen Verhandlung anders.
Das sagt das Gericht
Eine Abmahnung sei hier im Hinblick auf die Schwere der Pflichtverletzung nicht ausreichend, um dem gezeigten Verhalten des Arbeitnehmers zu begegnen. Es sei offensichtlich, dass man als Mitarbeiter nach beendeter Weihnachtsfeier die Räume des Arbeitgebers gegen Mitternacht nicht mittels der Chipkarte eines Kollegen betreten dürfe, um dort unbefugt vier Flaschen Wein zu konsumieren. Es seien keine dem Arbeitnehmer erkennbaren Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Arbeitgeberin solch ein Verhalten dulden würde.
Es stelle sich nur die Frage, ob das gezeigte Verhalten bereits eine fristlose Kündigung rechtfertige oder die Interessenabwägung zu einer ordentlichen Kündigung führe.
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf musste diese Frage letztendlich nicht entscheiden, da sich die Parteien auf Vorschlag des Gerichts im Rahmen eines Vergleichs auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit sozialer Auslauffrist bis zum 28.2.2023 einigten.
Wenn Sie einem Arbeitnehmer fristlos kündigen wollen, prüfen Sie immer, ob tatsächlich ein außerordentlicher Kündigungsgrund vorliegt. Lassen sich dazu von unserer Rechtsabteilung beraten.
Kündigen Sie hilfsweise auch immer ordentlich und nutzen unsere Muster für ordentliche Kündigung und außerordentliche Kündigung. Information zu Kündigungsgründen, -fristen und Alternativen zur Kündigung finden Sie unter „Kündigung schreiben in der Arztpraxis“.
Möglicherweise hilft auch das Muster „Aufhebungsvertrag“ weiter. In vielen Fällen ist jedoch vor einer Kündigung eine Abmahnung angebracht. Hier finden Sie unsere Praxisinfo „Abmahnung“.
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: Welche Mittel haben Sie als Chef?
Einem bei einer Bundesbehörde beschäftigten Arbeitnehmer wird vorgeworfen, er habe die unbekleideten Brüste einer Arbeitskollegin vorsätzlich und ohne Einwilligung der Frau berührt. Deswegen wurde ihm fristlos gekündigt.
Das Arbeitsgericht Berlin hat am 6.9.23 (Az.: 22 Ca 109/23) die fristlose Kündigung für wirksam erachtet.
So kam es zur Entscheidung
Die Kollegin des Arbeitnehmers hatte diesem gegenüber über Rückenschmerzen geklagt. Mit ihrer Einwilligung berührte der Arbeitnehmer, der hinter ihr saß, zunächst ihren Rücken, der nach Hochschieben ihrer Oberbekleidung und Öffnen des BH unbekleidet war, um diesen abzutasten.
Die Bundesbehörde behauptete, der Kläger habe sodann ohne Einverständnis der betroffenen Kollegin seine Hände unter deren BH geschoben und auf ihre unbekleideten Brüste gelegt. Die Behörde kündigte dem Arbeitnehmer fristlos. Dagegen klagte dieser, jedoch ohne Erfolg.
Das sagt das Gericht
Der Arbeitnehmer behauptete gegenüber dem Arbeitsgericht, es habe sich um ein unbeabsichtigtes seitliches Streifen der Brüste bei dem Versuch gehandelt, den BH wieder zu schließen. Nach persönlicher Anhörung des Arbeitnehmers und Vernehmung der betroffenen Kollegin als Zeugin hielt das Arbeitsgericht diese Angabe für eine Schutzbehauptung. Die Schilderung der Kollegin sei hingegen glaubhaft. Anhaltspunkte dafür, die Kollegin wolle den Arbeitnehmer zu Unrecht einer sexuellen Belästigung bezichtigen, konnte das Arbeitsgericht nicht erkennen.
Wegen der Schwere der Pflichtverletzung, die möglicherweise sogar strafrechtlich relevant sei, sei eine Abmahnung entbehrlich. Die Abwägung der Interessen des Arbeitgebers einerseits und des nur noch außerordentlich kündbaren Arbeitnehmers andererseits falle trotz des 19-jährigen Arbeitsverhältnisses zu Lasten des Arbeitnehmers aus.
Wollen auch Sie einer Mitarbeiterin kündigen? Auch hier können Sie auf unseren Service zurückgreifen:
- ordentliche Kündigung
- außerordentliche Kündigung
- Muster „Aufhebungsvertrag“
- Praxisinfo „Abmahnung“
- Kündigung schreiben in der Arztpraxis
Unsere Rechtsberatung steht Ihnen ebenfalls zur Verfügung.
Wie lässt sich ein Arbeitszeugnis später ändern?
Wenn Arbeitnehmer wieder und wieder ihr Arbeitszeugnis angepasst haben wollen, kann das für Chefin oder Chef nervig sein. Trotzdem dürfen sie das Zeugnis als Reaktion darauf nicht verschlechtern.
Laut Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt am 6.6.2023 (Az.: 9 AZR 272/22) muss insbesondere eine einmal ausgesprochene Dankes-, Bedauerns- und Wunschformel im Zeugnis bleiben.
So kam es zur Entscheidung
Eine Frau war von 2017 bis 2021 bei einer Fitnessstudio-Kette in Niedersachsen beschäftigt, zunächst als „Persönliche Assistentin der Geschäftsführung“ und zuletzt als „Manager of Administration and Central Services“. Danach schied sie auf eigenen Wunsch aus.
Das erste Arbeitszeugnis endete mit den Worten: „Wir danken ihr für ihre wertvolle Mitarbeit und bedauern es, sie als Mitarbeiterin zu verlieren. Für ihren weiteren Berufs- und Lebensweg wünschen wir ihr alles Gute und auch weiterhin viel Erfolg.“
Unzufrieden war die Klägerin allerdings mit der Beschreibung ihrer Arbeitsleistung und ihres Sozialverhaltens. Sie forderte Änderungen, war aber auch mit der zweiten Fassung nicht zufrieden.
Erst im dritten Anlauf entsprach das Zeugnis einer Schulnote eins mit folgender Formulierung: „Frau D. hat ihre Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit erledigt und unseren Erwartungen in jeder Hinsicht optimal entsprochen“. Dafür fehlte nun aber die ursprünglich enthaltene Abschlussformel. Die Frau klagte und bekam Recht.
Das sagt das Gericht
Die ehemalige Arbeitgeberin sei verpflichtet, ein Zeugnis mit den begehrten Schlusssätzen zu erteilen. „Mit ihrer Weigerung, das Zeugnis mit einer sogenannten Dankes-, Bedauerns- und Wunschformel zu versehen, verstößt sie gegen das arbeitsrechtliche Maßregelungsverbot.“ Danach dürfen Arbeitnehmer nicht benachteiligt werden, nur weil sie in zulässiger Weise ihre Rechte ausüben. Dies habe hier die Arbeitnehmerin mit ihrer Forderung nach einem besseren Zeugnis getan.
Auf eine solche Schlussformel bestehe zwar kein Anspruch, sie werte das Arbeitszeugnis aber auf. Diese „freiwillige Leistung“ wieder wegzulassen, sei für die Arbeitnehmerin daher ein „faktischer Nachteil“.
Ohne Erfolg hatte die Arbeitgeberin argumentiert, sie habe die frühere Mitarbeiterin gar nicht maßregeln wollen. Das eigene Bedürfnis, ihr Dank und gute Wünsche auszusprechen, sei im Zuge des Zeugnisstreits einfach verflogen. Schon das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hatte hierzu betont, ob die Arbeitgeberin diese Empfindungen immer noch hegt, sei „ohne Bedeutung“.
Müssen auch Sie ein Arbeitszeugnis erstellen, laden Sie sich unsere Praxisinfo „Arbeitszeugnis“ dazu herunter und lassen Sie sich rechtlich von uns beraten. So können Sie es vermeiden, den Streit über ein Arbeitszeugnis vor den Arbeitsgerichten austragen.
Einen Überblick über Gerichtsurteile zum Arbeitszeugnis können Sie sich im Blog verschaffen.
Ein korrektes Arbeitszeugnis ist häufig die letzte Handlung im Rahmen guter Mitarbeiterführung. Umfassende Informationen zu Mitarbeiterführung finden Sie dort sowie unter Personalverwaltung.
COVID-19-Impfstoff für den Mülleimer: Droht Ihnen der Regress?
Der an die Omikron-Variante XBB.1.5 angepasste COVID-19-Impfstoff von BioNTech/Pfizer wird nicht in Einzeldosen bereitgestellt, sondern in Fläschchen mit 6 (für Jugendliche und Erwachsene sowie Kinder) beziehungsweise 10 Dosen (für Kleinkinder) ausgeliefert.
Unter niedergelassenen Ärzten bestand Unsicherheit, ob ein Regressrisiko besteht, wenn nicht der gesamte Impfstoff eines Fläschchens verimpft werden kann
Auf Nachfrage teilte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) mit, dass der Bund auch weiterhin keine Regressansprüche stellen wird, wenn COVID-19-Impfstoffdosen trotz bedarfsgerechter Bestellung und sorgfältiger Terminplanung verfallen oder nicht verwendet werden können.
Außerdem teilte das BMG mit, dass es bei der wöchentlichen Meldung von tagesgenauen Impfdaten bleibt. Die KBV hatte mehrfach gefordert, die Meldevorgaben an die der anderen Impfungen anzupassen, doch dies wird vom BMG abgelehnt. Die Begründung: Eine vollständige und zeitnahe Erfassung der Impfdaten sei u. a. erforderlich, um die Impfinanspruchnahme in Deutschland so genau und aktuell wie möglich abbilden und die Wirksamkeit und Sicherheit der neu zugelassenen Varianten-angepassten Impfstoffe einschätzen zu können.
Das ImpfDoku-Portal der KBV für die Dokumentation und wöchentliche Übermittlung der Daten (hier die Anleitung zum Portal) wurde mittlerweile um den Impfstoff Comirnaty XBB.1.5 erweitert. Die tagesgenaue Dokumentation kann dann rückwirkend ab dem 18.9.2023 – dem ersten Tag der Auslieferung – durchgeführt werden.
Alle Impfungen der Kalenderwoche müssen bis sonntags 24 Uhr gespeichert sein, danach erfolgt die automatische Weiterleitung an das RKI. Korrekturen sind bis zum Ende der aktuellen Kalenderwoche jederzeit möglich. Über die Haftung bei der Corona-Impfung in Arztpraxen informieren wir hier.
Der Regress ist ein häufiges und lästiges Ärgernis. Hier können Sie nachlesen, wann Heilmittelverordnen zum Regress führt und wie Sie einen Regress vermeiden können. Nehmen Sie auch an unserem Webinar am 29.11.2023 teil: „Start in die Niederlassung: Modul 5 – „Prüfung und Regress“. Hier können Sie sich anmelden.
Schuldet ein Patient Ihnen Geld für die Kopie seiner Behandlungsakte?
Ein Patient kann von seinem Arzt/Krankenhaus verlangen, dass dieser ihm kostenfrei eine erste Kopie seiner gesamten Behandlungsunterlagen übersendet. Dies geht aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO hervor, und dieser Artikel geht dem Recht auf (kostenpflichtige) Kopie der Behandlungsunterlagen in § 630 g Abs. 2 Satz 2 BGB vor. Die Verpflichtung des Arztes, dem Patienten unentgeltlich eine erste Kopie seiner personenbezogenen Daten, die verarbeitet werden, zur Verfügung zu stellen, gilt auch dann, wenn der Patient keinen Grund nennt, warum er die Behandlungsunterlagen einsehen will. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 26.10.2023 (Az.: C‑307/22) entschieden.
So kam es zur Entscheidung
Ein deutscher Patient war sich bei einem deutschen Zahnarzt in Behandlung. Da er den Verdacht hatte, seine sei Behandlung fehlerhaft erfolgt, forderte er den Zahnarzt zur unentgeltlichen Herausgabe einer ersten Kopie seiner Patientenakte auf. Der Zahnarzt teilte dem Patienten mit, dass er diesem Antrag nur dann nachkommen werde, wenn der Patient die Kosten für die Zurverfügungstellung der Kopie der Akte übernehme, wie es nach nationalem Recht vorgesehen sei. Dazu war der Patient nicht bereit.
Der Patient erhob Klage gegen den Zahnarzt auf Herausgabe der Unterlagen. Im ersten Rechtszug und in der Berufungsinstanz wurde seinem Antrag stattgegeben.
Der Zahnarzt legte Revision zum Bundesgerichtshof ein. Der BGH ist der Auffassung, dass die Entscheidung des Rechtsstreits davon abhänge, wie die Bestimmungen der DSGVO auszulegen seien, setzte das Verfahren aus und legte diese europarechtsrelevante Frage dem EuGH zur Entscheidung vor (BGH, 29.03.2022, Az.: VI ZR 1352/20).
Das sagt das Gericht
Es besteht Anspruch auf eine kostenlose Kopie und für die Übersendung der Kopie der Behandlungsunterlagen muss der Patient keinen Grund angeben. Die unentgeltliche Zurverfügungstellung einer ersten Kopie der personenbezogenen Daten ist weder nach dem Wortlaut von Art. 12 Abs. 5 noch dem von Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO davon abhängig, dass diese Personen ihren Antrag begründen. Diese Bestimmungen ermöglichen dem Verantwortlichen demnach nicht, für den Auskunftsantrag der betroffenen Person eine Begründung zu verlangen.
Wenn Sich ein Patient an Sie wendet und seine Behandlungsunterlagen in Kopie haben möchte, kommen Sie dieser Forderung zeitnah – spätestens innerhalb eines Monats – nach. Sie können die Kopie kostensparend elektronisch übermitteln, z. B. indem Sie eine verschlüsselte PDF-Datei übersenden.
Bei weiteren Fragen zur Herausgabe der Krankenunterlagen wenden Sie sich an unsere Rechtsberatung. Wenn Sie Krankenunterlagen herausgeben müssen, verwenden Sie die unten stehende Checkliste.
- Wer fordert die Akteneinsicht? (Patient, Anwalt oder Erben?)
- Liegt eine Vollmacht des Patienten vor?
- Liegt eine Erklärung zur Schweigepflichtentbindung des Patienten oder in dessen Todesfall aller naher Angehörigen vor?
- Wurden Schadensersatzansprüche angemeldet?
- Haben Sie Ihre Haftpflichtversicherung unverzüglich informiert?
- Sind die Krankenunterlagen vollständig und lesbar?
- Liegen ausnahmsweise Gründe vor, die einer Einsichtnahme entgegenstehen?
Off-Label-Therapie bei schwerer Krankheit – zahlt die GKV?
Die Eltern eines schwerkranken, gesetzlich versicherter Kindes hatten sich gegen die fachgerichtlich bestätigte Ablehnung der Krankenkasse gewandt, die Kosten für eine experimentelle Therapie zu übernehmen. Sie legten Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch diese am 25.9.2023 (1 BvR 1790/23) nicht zur Entscheidung angenommen.
So kam es zur Entscheidung
Bei dem 2020 geborenen Kind wurde 2022 die Krankheit GM2-Gangliosidose/Morbus Tay-Sachs (infantiler bis spät-infantiler Phänotyp) diagnostiziert. Hierbei handelt es sich um eine seltene angeborene Stoffwechselerkrankung, die durch eine progrediente Neurodegeneration mit zunehmendem Verlust erworbener kognitiver und motorischer Fähigkeiten, schwersten Behinderungen und dramatisch verkürzter Lebenserwartung gekennzeichnet ist. Dafür steht keine anerkannte kausale Therapie zur Verfügung.
Seit dem Frühjahr 2022 erhält das Kind eine Off-Label-Therapie mit dem Arzneimittel N-Acetyl-L-Leucin (Tanganil®). Im November 2022 beantragten die Eltern bei der Krankenkasse die Kostenübernahme für eine Therapie mit dem Arzneistoff Miglustat. In der beigefügten Stellungnahme der behandelnden Kinderärztin hieß es unter anderem, Miglustat führe bei der Behandlung anderer neurodegenerativer Erkrankungen zu einer Stabilisierung des Krankheitszustands. Dies erhoffe man sich ebenfalls bei Patienten mit GM2-Gangliosidose.
Die Krankenkasse lehnte den Antrag nach Einholung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes ab. Im anschließenden Widerspruchsverfahren gab es eine Stellungnahme eines Spezialisten. Dieser verwies unter anderem auf Grundlagenforschung mit Versuchen an Mäusen, die gezeigt habe, dass Miglustat die GM2-Akkumulation senke. Bei genauer Betrachtung vorliegender Publikationen finde man zudem Indizien, dass Miglustat einen positiven Effekt haben könne. Wissenschaftliche Studien der Phasen II und III lägen aufgrund der Seltenheit von GM2-Gangliosidosen nicht vor.
Die Krankenkasse wies den Widerspruch nach Einholung weiterer Gutachten des Medizinischen Dienstes zurück. Es gebe keine Daten höherer Evidenz (der Phasen II und III), die einen positiven klinisch relevanten Effekt von Miglustat auf den Erkrankungsverlauf der infantilen Tay-Sachs-Erkrankung nahelegten.
Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass beim Kind im Oktober 2022 langsame motorische Fortschritte und keine Entwicklungsrückschritte berichtet worden seien und dies auf die Tanganil-Medikation zurückgeführt worden sei. Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes hatten die Elterndie vorläufige Versorgung mit Miglustat erwirkt.
Im Mai 2023 war die Therapie mit Miglustat eingeleitet worden, und zwar auf Grundlage eines Beschlusses des Sozialgerichts. Diesen Beschluss hob das Landessozialgericht auf und lehnte den Eilantrag der Eltern ab.
Die Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Auslegung der sozialrechtlichen Leistungsvorschriften seien nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Auch bei sehr schweren Erkrankungen benötigten Behandlungsversuche ein Mindestmaß an wissenschaftlicher Datengrundlage, die über den Tierversuch hinausgingen. Der Medizinische Dienst habe nachvollziehbar und detailliert ausgeführt, dass überhaupt keine Studien vorlägen, die einen positiven klinisch relevanten Effekt von Miglustat auf den Erkrankungsverlauf der infantilen Tay-Sachs-Erkrankung nahelegen könnten. Die Familie klagte, scheiterte aber vor dem Bundesverfassungsgericht.
Das sagt das Gericht
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da sie nicht den Darlegungsanforderungen genügt, die aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgen. Die begehrte Versorgung mit Miglustat abzulehnen, stellt keine Grundrechtsverletzung dar. Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgt in der Regel kein verfassungsrechtlicher Anspruch gegen die Krankenkassen auf Bereitstellung bestimmter und insbesondere spezieller Gesundheitsleistungen.
In besonders gelagerten Fällen können die Gerichte zu einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts verpflichtet sein. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Krankheit behandelt wird.
Dabei muss allerdings die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens eine spürbare, positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen. Rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt sind, fallen hingegen nicht unter die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung.
In manchen Fällen und teils auch für anerkannte Behandlungsmethoden kann es sinnvoll sein, einen Behandlungsvertrag abzuschließen, um sich gegen eventuelle Schwierigkeiten bei der Kostenerstattung abzusichern. Mit unserem Muster „Behandlungsvertrag“, hier auch für Privatpatienten, sind Sie auf der sicheren Seite.
Wollen Sie dagegen dokumentieren, dass der Patient selbst eine Behandlung ablehnt, nutzen Sie dafür den Mustervertrag „Behandlungsverweigerung“. Bei Fragen steht Ihnen unsere Rechtsberatung zur Verfügung.
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