
Eltern pflegen als Vertragsarzt? Nicht mit der KV
Praxisberatung für Ärztinnen und Ärzte ist eine ernste Sache, immer abwechslungsreich – oft aber auch blanker Wahnsinn. So wie in diesem Fall aus unserer Praxisberatung:

Das Vertragsarztdasein ist reglementiert, vermutlich (noch) mehr als Sie glauben. Wie viel Leben außerhalb der Zulassung ist gestattet? Darf ein Arzt auch pflegender Angehöriger sein?
In Deutschland leben über 5 Millionen pflegebedürftige Menschen. 9 von 10 werden zu Hause versorgt, über 4 Millionen von Angehörigen oder Angehörigen gemeinsam mit einem ambulanten Pflegedienst.
Angehörige übernehmen die Pflege aus verschiedensten Gründen – zum Beispiel, weil kein Pflegedienst gefunden wird. Oder weil sie für die Eltern da sein wollen. Die Gründe sind allesamt legitim. Schließlich haben pflegende Angehörige mittlerweile einen Status in diesem Land: Es gibt finanzielle Unterstützung, es gibt eine Absicherung des Arbeitsplatzes, es gibt psychologische Begleitung und bedarfsweise auch eine Reha-Maßnahme.
Doch die Unterstützung hat Grenzen. Und die verlaufen offenbar da, wo das Leben als Vertragsarzt oder -ärztin beginnt. Beziehungsweise da, wo die KV mitreden darf.
Zugegeben: Wenige Fälle dieser Art werden bekannt. Doch ich vermute eine hohe Dunkelziffer unter Ärztinnen und Ärzten – schon deshalb, weil sie fast prädestiniert sind für ein Ereignis wie das folgende.
Eltern pflegen und Praxis betreiben: Ein Konflikt für Vertragsärzte?
Ein Mitinhaber einer Praxis betreut seine beiden pflegebedürftigen Eltern. Das „darf“ er natürlich nur, solange das nicht seinen Praxisbetrieb einschränkt. Stichwort Sicherstellung: Mit der Übernahme eines Vertragsarztsitzes hat er sich schließlich verpflichtet.
Also rekrutiert er für seine Praxis ganz korrekt einen Sicherstellungs- bzw. Entlastungsassistenten.
Welch ein Glück, dass der ehemalige Praxisinhaber bereit und in der Lage ist, diese Rolle zu übernehmen. Er kennt sich aus in den Praxisabläufen, ist vertraut mit dem Personal und mit vielen der Patienten. Er ist – so sieht es auch die KV – geeignet. Genehmigung. Prima.
In der Regel werden derartige Genehmigungen befristet erteilt, in diesem Fall für zwei Jahre.
Zu dumm nur, dass nicht auch die Pflegebedürftigkeit nach Ablauf der zwei Jahre endet.
Immerhin ist das absehbar, und die bisherige Regelung passt allen sehr gut und funktioniert auch im Sinne der Versorgung. Daher stellt der Arzt, wieder völlig korrekt, einen Antrag auf Verlängerung.
Der Antrag wird abgelehnt.
Wie bitte?
Die KV ist kein Fan von Präzedenzfällen
Ich entschuldige mich bei dem pflegenden Arzt und seinen Eltern, weil mir in diesem Moment ein Zitat von Prof. Dr. Karsten Vilmar zum „sozialverträglichen Frühableben“ einfällt.
Die KV begründet die Ablehnung so: Ein solcher Fall sei bislang nicht vorgekommen.
Aha.
Wir stellen fest: Eine sachliche Begründung für diese Entscheidung ist das nicht.
Die Praxis verhält sich lösungsorientiert und bittet um eine Unterredung mit den Verantwortlichen bei der KV. Die gibt es. Und jetzt kommt‘s:
Im Ergebnis gestattet die KV, dass der Alteigentümer als sogenannter „Kennenlernassistent“ weiter beschäftigt werden darf. Für ganze 6 Monate.
Dazu fällt mir nichts mehr ein.
Und jetzt?
Ich kann hier leider nur meine besten Wünsche an die Familie senden, die sich umeinander kümmert. Und an das Praxisteam und den Praxisvorgänger, die das ermöglichen.
Den Verantwortlichen bei der KV wünsche ich eine Brille, durch die sie die Realität erkennen können.
Sie haben ebenfalls Praxiswahnsinn erlebt?
Erzählen Sie uns davon – in den Kommentaren oder per E-Mail.
Die hier dargestellten Fälle sind aus der persönlichen Praxisberatung des Virchowbundes, gesammelt und aufgeschrieben von Margaret Plückhahn, unserer Praxis- und Niederlassungsberaterin.
„In meiner täglichen Beratungspraxis begegnen mir zuweilen Fälle, die auch mich nach über 30 Jahren Tätigkeit im Gesundheitswesen nur den Kopf schütteln lassen. Fälle, die die teils tragische Absurdität unseres Gesundheitssystems offenlegen. Fälle, die zum verzweifelten Seufzen, Weinen oder Lachen bringen – und die es verdient haben, dass sie öffentlich gemacht werden.“
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