Gefährliche Krankenhäuser

Gesundheitsexperten stellen in Frage, ob zukünftig noch jedes Krankenhaus Corona-Patienten behandeln darf. 

 

Wie unter einem Brennglas wurden durch die Pandemie die Schwächen und die Stärken des deutschen Gesundheitswesens deutlich. Eine der wichtigsten Erkenntnisse lautet: Der starke ambulante Sektor hat ganz entscheidend dazu beigetragen, dass die erste Welle in Deutschland relativ glimpflich verlaufen ist. In diesem Zusammenhang wird häufig eine Statistik der KBV zitiert: 6 von 7 Coronafällen konnten ambulant behandelt werden.

Der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) passen solche Fakten naturgemäß nicht ins Konzept. Schließlich will man dort verhindern, dass kleinere Kliniken aus Qualitätsgründen von der Notfallversorgung ausgeschlossen werden und dass die geplanten Integrierten Notfallzentren (INZ) in den Verantwortungsbereich der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) gelangen.

Dementsprechend vehement versuchte die DKG jüngst, den Anteil der Praxisärzte an der Corona-Versorgung kleinzureden – unterstützt von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).

„Dass Deutschland die Situation vergleichsweise gut gemanagt hat, liegt primär nicht daran, dass die Krankenhäuser erfolgreich behandelt haben, sondern dass wir die Patienten, die nicht unbedingt stationär behandelt werden mussten, von den Krankenhäusern ferngehalten haben“, erwiderte der Bundesvorsitzende des Virchowbundes, Dr. Dirk Heinrich, auf die Kritik. Der pauschalen DIVI-Kritik hielt er eindeutige Zahlen zum Behandlungsgeschehen aus dem KV-Bereich entgegen.

Noch deutlicher wurde der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Reinhard Busse im Podcast der Ärztezeitung: „Das Krankenhaus ist ein gefährlicher Platz ist, insbesondere wenn die Häuser wenig Erfahrung haben oder nicht gut genug ausgestattet sind. Die Menschen, die mit Covid-19 ins Krankenhaus kommen, haben ein enorm hohes Risiko zu versterben.“

Als Beispiel nannte er das Ernst-von-Bergmann-Klinikum in Potsdam: Von den 47 Covid-19-Toten im Frühjahr waren nur drei mit Covid-19-Diagnose aufgenommen worden. Die restlichen 44 steckten sich erst im Krankenhaus an. Nicht umsonst revidierte auch das Robert-Koch-Institut (RKI) rasch seine ursprüngliche Empfehlung, diagnostizierte Fälle ins Krankenhaus zu überweisen.

Busse zufolge lag die Mortalität durch Covid-19 im Krankenhaus über 20 Prozent. Zum Vergleich: Bei einem Herzinfarkt sind es unter 10 Prozent. Auch die Verlegungsrate von Beatmungs-Patienten war mit 27 Prozent extrem hoch. Jeder vierte Covid-19-Patient kam also im Frühjahr 2020 zunächst in ein Krankenhaus, das keine Beatmungsbetten hatte, obwohl es zu jeder Zeit in jeder Region ausreichend Beatmungskapazitäten gab.

Gerade wegen Corona müsse daher die Strukturreform des Krankenhaussektors vorangetrieben werden, so Busse. Dabei solle das Augenmerk nicht auf der Zahl und Verteilung der Krankenhäuser liegen, sondern auf deren Ausstattung und Spezialisierung. Technische und personelle Vorgaben sowie Mindestmengen sind nach mehrheitlicher Meinung der Experten die wesentliche Voraussetzung für Qualität. Reduktion und Bündelung der Kapazitäten ginge dabei weder zulasten der Zugangszeit, noch widerspräche dies dem Gedanken, dezentral handeln zu können, ergänzte Gesundheitsökonom Prof. Dr. Boris Augurzky im Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt.

Der Virchowbund spricht sich dafür aus, unzureichend ausgestattete Kliniken in neue Strukturen zu überführen, beispielsweise (teil-)ambulante Zentren. Durch die Spezialisierung steigt sowohl das Zahlenverhältnis von belegten Betten zu Pflegepersonal als auch die Qualifikation des Personals. Beides helfe, die ohnehin angespannte Personalsituation zu entschärfen. Die Zahl der Intensivbetten würde dadurch nicht berührt.

Um dieses Ziel zu erreichen, ist es mit einer reinen Strukturreform allerdings noch nicht getan. Dadurch, dass die Länder ihren Investitionspflichten in den letzten Jahren nicht ausreichend nachgekommen sind, waren die Kliniken genötigt, das Finanzloch durch DRG-Optimierung zu stopfen. Die duale Krankenhausfinanzierung durch Kassen und Länder hat die Ökonomisierung der Medizin verschärft. In Zukunft sollten in einem monistischen System allein die Kassen für die Krankenhäuser aufkommen.

 

Was hat Deutschland aus der ersten Welle gelernt? Wie muss sich die ambulante Versorgung aufstellen, um eine zweite Welle, weitere Pandemien, die medizinischen Herausforderungen des Klimawandels oder Katastrophenfälle zu bewältigen?

Am 6. November 2020 diskutieren Ärzte aus Praxen, Kliniken und dem Öffentlichen Gesundheitsdienst dazu auf der Bundeshauptversammlung des Virchowbundes. Die Veranstaltung wird live gestreamt.

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