Leistungskürzungen, Staatsmedizin, Krankenhausreform – Die Aufreger der Bundeshauptversammlung 2023

Karl Lauterbach plant die Staatsmedizin. Dass der Virchowbund so klare Worte findet für die aktuelle Gesundheitspolitik, kommt in den Regierungsparteien nicht gut an. Bei der Bundeshauptversammlung 2023 kam es zur Konfrontation. Rückblick auf eine emotionale Veranstaltung.

 

Es wurde laut, es wurde leidenschaftlich: Der angestaute Frust der niedergelassenen Ärzteschaft entlud sich bei der Bundeshauptversammlung 2023 am vergangenen Wochenende. Am Anfang stand eine scharfe Analyse des Bundesvorsitzenden des Virchowbundes.

 

Lauterbach will die Staatsmedizin

„Wir haben 18 Tatbestände, wo die Kliniken für die ambulante Versorgung geöffnet wurden, aber 0 Tatbestände, wo die Praxen für die stationäre Versorgung geöffnet wurden“, stellte Dr. Dirk Heinrich in seinem Eröffnungsstatement fest.

Die einseitige Benachteiligung der Arztpraxen zeigt sich seit vielen Monaten im politischen Handeln:

  • Coronabonus: Angestellte in Krankenhäusern erhielten ihn, MFA in Arztpraxen nicht
  • Digitalisierung: unausgereifte Anwendungen werden mit Zwang (Honorarabzüge) durchgesetzt
  • Energiekosten: Kliniken werden mit Milliarden unterstützt, Praxen nur in Ausnahmefällen
  • Intersektorale Leistungen: Praxen und Krankenhäuser erhalten für dieselbe Leistung unterschiedlich viel Geld nach EBM bzw. DRG
  • Vergütung: Karl Lauterbach entzieht den Praxen mit der Abschaffung der Neupatientenregelung Geld, verweigert die GOÄ-Reform und ergreift in den Finanzierungsverhandlungen die Partei der Krankenkassen

Dazu kommen Gesetze, die die Selbstverwaltung beschneiden und den Zugriff des Staates ausbauen, etwa in G-BA und Zulassungsausschüssen.

„Das ist alles kein Zufall. Karl Lauterbach verfolgt eine Agenda“, urteilte der Virchowbund-Chef. Niedergelassene Ärzte werden vorzeitig aus der ambulanten Versorgung vertrieben, der Nachwuchs abgeschreckt – und Krankenhäuser und para-medizinische Angebote wie Gesundheitskioske in Stellung gebracht, um die absichtlich geschaffene Lücke zu füllen.

Am Ende steht eine weitgehend arztfreie Primärversorgung, mit wenigen verbliebenen Hausärzten. Fachärzte praktizieren im Lauterbach-Modell nur noch am Krankenhaus. Dort angestellte Ärzte lassen sich für den Staat leichter verwalten und kontrollieren als zehntausende eigenständige Praxen. „Diese Staatsmedizin wird zu langen Wartelisten und einer echten Zwei-Klassen-Medizin führen“, warnte Heinrich.

Praxen wehren sich: Proteste und Leistungseinschränkungen

Da von der Politik keine Hilfe für die Praxen zu erwarten ist, müssen die Niedergelassenen sich selbst helfen. Wenn die nötigen Finanzmittel fehlen, sollten Praxen ihre Organisation und ihr Leistungsangebot anpassen. Das bedeutet u. a. weniger Sprechstunden, weniger Termine für budgetierte Patienten, mehr Selbstzahler-Leistungen.

Die Proteste unter dem Motto „Praxis in Not“ werden ebenfalls weitergehen. Zahlreiche Umfragen von Verbänden, KVen und in ärztlichen Foren zeigen, dass die Protestbereitschaft der Praxen ungebrochen groß ist.

 

Ärzte buhen Politiker aus

Diese Stimmung war auch bei der Bundeshauptversammlung des Virchowbundes deutlich. Die Politikerinnen Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Grüne, MdB) und Heike Baehrens (SPD, MdB) bekamen den Frust und die Empörung der niedergelassenen Ärzte während der Podiumsdiskussion besonders stark zu spüren.

„Die einzige Agenda des Gesundheitsschusses heißt: Patienten in den Vordergrund“, erklärte Kappert-Gonther. Der Fokus liege aktuell auf den Krankenhäusern, da dort durch ungesteuertes Kliniksterben eine dramatische Verschlechterung zu Ungunsten der Patienten drohe. „Meiner Meinung nach haben wir jetzt die Chance, ernsthaft sektorübergreifende Versorgung zu implementieren.“

Die Grünen- und die SPD-Politikerin ließen allerdings keinen Zweifel daran, dass sie in Zukunft nicht nur Delegation sondern auch Substitution betreiben wollen. „Die Ärzteschaft muss Verantwortung abgeben“, forderten sie.

SPD-Sprecherin Heike Baehrens beschwerte sich, die Ärzteschaft solle konstruktiv an Lösungen arbeiten statt zu protestieren. Dr. Andreas Gassen von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) konterte: „Sprechen kann man immer mit Karl Lauterbach. Dann nimmt er das mit, und macht etwas ganz anderes.“

Hannelore König vom Verband der medizinischen Fachberufe bestätigte: „Wir werden nicht gehört, unsere E-Mails werden von Karl Lauterbach und Frau Baehrens nicht gelesen.“ Auch Dr. Christiane Wessel (Virchowbund, KV Berlin) und Dipl.-Med. Angelika von Schütz (Virchowbund, KV Mecklenburg-Vorpommern) teilten diese Einschätzung.

 

Krankenhäuser werden auf Kosten der Arztpraxen gerettet

Werden die Krankenhäuser saniert, indem sie im ambulanten Sektor wildern dürfen? Der Moderator der Veranstaltung, Dr. Albrecht Kloepfer, bat die Politiker und den Gesundheitsökonom Dr. Reinhard Busse (TU Berlin) um Stellungnahme. Die Bedenken der anwesenden Ärztinnen und Ärzte konnten sie nicht zerstreuen.

 

Lesen Sie auch Teil 2 zur Bundeshauptversammlung 2023 – Krankenhausreform: Gefahr für die ärztliche Weiterbildung?

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