Barrieren abbauen: Arztpraxis fit machen für Menschen mit Gehbehinderung

Viele Ärztinnen und Ärzte schrecken zurück, wenn sie „barrierefreie Praxis“ hören: zu viel Aufwand, zu viel Bürokratie, zu teuer. Viele fragen sich: Muss meine Praxis barrierefrei sein? Wir beantworten diese Frage und erklären, was zur Barrierefreiheit gehört.

 

Etwa 10 Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer oder mehreren Behinderungen – im Jahr 2024 also 12 % der Bevölkerung. Dem gegenüber sind nur etwa 25 % der ärztlichen Praxen barrierearm oder barrierefrei für manche Behinderungen. Insofern sind viele behinderte Menschen gesundheitlich schlecht versorgt. 

Ihnen steht eine adäquate Gesundheitsversorgung ebenso zu wie Nichtbehinderten. Dennoch sind Sie als Ärztin oder Arzt nicht verpflichtet, Ihre bestehende Praxis barrierefrei zu gestalten

Einzelne Barrieren abzubauen kann einfach oder schwierig sein. Es kommt dabei auch darauf an, für welche Art Beeinträchtigung eine Praxis barriereärmer werden soll. Dieser Beitrag konzentriert sich auf Maßnahmen für Menschen mit Gehhilfen (Rollstuhl, Rollator etc.) oder auch Kinderwägen.

 

Barrierefreiheit: Gesetzliche Grundlage

Grundsätzlich gilt seit 2002 bundesweit das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG). Es dient dazu, die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen durchzusetzen und fordert, dass Barrieren für Menschen mit Behinderungen schrittweise abgebaut werden.

Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) greift hier: Es besagt, dass Benachteiligungen aus Gründen einer Behinderung verhindert und beseitigt werden sollen.

Die Bauvorgaben an öffentliche Gebäude und Einrichtungen aus dem BGG betreffen auch Arztpraxen. Die genauen Vorgaben sind jedoch Ländersache. Jedes Bundesland hat also seine eigene Bauordnung. Diese ähneln sich bei den grundlegenden Kriterien der Barrierefreiheit, sind aber nicht in allen Punkten identisch. 

Eine Übersicht, Beispiele und weitere Information finden Sie in der Praxisinfo „Barrierefreie Arztpraxis“.

 

Muss Ihre Praxis rollstuhlgerecht sein oder nicht?

Der Zugang zu Ihrer Praxis muss grundsätzlich nicht nur rollstuhlgerecht, sondern auch barrierefrei sein, denn eine Praxis ist eine Gesundheitseinrichtung und ein öffentlich zugängliches Gebäude.

Die Praxisräume müssen nur barrierefrei sein, wenn sie neu gebaut werden oder wenn sie als Praxisräume umgewidmet oder umgenutzt werden. Bereits bestehende Praxen genießen Bestandsschutz und müssen abgesehen vom Zugang nicht barrierefrei sein.

Rollstuhlgerecht vs. barrierefrei

„Rollstuhlgerecht“ ist nur ein Aspekt von „barrierefrei“, nämlich die Barrierefreiheit für Menschen im Rollstuhl oder auch mit Kinderwagen. 

Bedenken Sie auch: Es kann bereits einen großen Unterschied für Betroffene machen, wenn Ihre Praxis „nur“ barrierearm und nicht gleich barrierefrei ist.

Anforderungen für gehbehinderte Menschen

Barrierefrei heißt hier: Ein Mensch mit Gehhilfen oder Kinderwagen muss in der Lage sein, Ihre Praxis ohne fremde Hilfe zu betreten. 

Zum barrierefreien Zugang gehören beispielsweise Rampen oder Treppenlifte, aber auch Parkplätze oder eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr.

Einige Barrieren, wie zum Beispiel in Warteräumen, können Sie leicht selbst beseitigen – viele andere erfordern größeren baulichen Aufwand. Der Vorteil bei Umzügen und Neugründungen: Ziehen Sie mit Ihrer Praxis in ein neu gebautes Haus, sind die Bauanforderungen in der Regel bereits umgesetzt. 

Tipp

Wenn Sie Ihre Praxis barrierefrei zu bauen oder umzubauen planen, ziehen Sie für die speziellen Anforderungen die Bauordnung Ihres jeweiligen Bundeslandes heran und informieren Sie sich außerdem bei Ihrer KV.

Mehr zu den generellen Anforderungen an Praxisräume finden Sie hier.

Sie möchten eine Praxis kaufen oder mieten? Hier finden Sie unsere Tipps zur Praxisgründung sowie alles Wichtige zu Niederlassung und Zulassung.

Hier stellen wir Ihnen als Überblick die wichtigsten beispielhaften Vorgaben für eine barrierefreie Praxis für Gehbehinderte vor.

  • mind. 2 behindertengerechte Stellplätze, Breite mind. 3,50 m und Länge 7,50 m
  • vom öffentlichen Nahverkehr aus max. 10-15 Gehminuten
  • Breite der Haustür mind. 90 cm
  • Im Freien und drinnen ebene, berollbare, rutschsichere Plattenbeläge
  • Treppenhandläufe auf beiden Seiten der Treppe
  • Aufzugkabine mind. 110 cm breit und 140 cm tief
  • Stockwerkansage und Bedienungstasten, max. 105 cm hoch vom Boden aus

  • Stufenloser Zugang
  • Rampen mit max. 6 % Steigung und nicht länger als 6 m
  • Eingangstüren sollten sich leicht öffnen lassen, idealerweise automatisch
  • Türbreite mind. 90 cm
  • Türklingel in einer Höhe von 85-105 cm, vom Rollstuhl aus erreichbar
  • Gegensprechanlage
  • automatischer Türöffner oder senkrechte Türstange zum Greifen

  • Gänge mind. 150 cm breit
  • Türen mind. 90 cm breit
  • Handlauf im Flur und an Rezeption
  • Abgesenkter Anmeldetresen zur Kommunikation im Sitzen
  • Unterfahrmöglichkeit unter Tresen
  • Bewegungsfläche vor Tresen von 150 x 150 cm
  • Halterungen für Gehstützen und -stöcke

  • ggf. Türöffner
  • Teppich beseitigen oder fixieren, um Stolpern und „Hängenbleiben“ an Kanten zu verhindern
  • Platz zum Rangieren und Verharren eines Rollstuhls
  • Ablagefläche für Zeitschriften o. ä. neben Rollstuhl erhöht

  • Tür mind. 90 cm breit, öffnet sich nach außen
  • Türöffner
  • Bewegungsfläche von 150 x 150 cm vor dem WC
  • Toilette 46-48 cm hoch
  • Toilette muss mit dem Rollstuhl links oder rechts anfahrbar sein
  • Haltegriffe neben der Toilette
  • Spülung per Knopf oder Zug auslösbar
  • Notruf
  • Waschbecken unterfahrbar, mind. 30 cm Tiefe, max. 80 cm Höhe
  • entsprechend niedriger Spiegel

  • Umkleidekabine mit ausreichend Bewegungsfläche (150 x 150 cm) oder Umkleidemöglichkeit in einem Behandlungsraum
  • Sitzgelegenheiten, Haltegriffe

Diese Liste ist ggf. nicht vollständig. Für einen Umbau oder eigenen Neubau sollten Sie weitere landesrechtliche Informationen einholen.

Nutzen Sie auch unsere Checkliste für die barrierefreie Praxis in unserer Praxisinfo. Dort finden Sie auch Details dazu, ob Sie Ausnahmeanträge zur Befreiung von Pflichten der Barrierefreiheit stellen können.

 

Praxisabläufe

Auch die Abläufe, wie Untersuchungen, sollten es Menschen mit eingeschränkter Steh- und Gehfähigkeit möglichst leicht machen. Das heißt: Untersuchungen, die im Rollstuhl sitzend möglich sind, sollten Sie auch dort durchführen. Nutzen Sie, falls möglich, höhenverstellbare Untersuchungsgeräte. Es kann auch hilfreich sein, einen Stufenhocker in Reichweite zu haben.

Eine gute Idee ist es zudem, einen Rollstuhl in der Praxis zu lagern, für Patientinnen und Patienten, die eine Geheinschränkung haben, aber zu Fuß in Ihre Praxis kommen. 

 

Sie möchten eine Person mit Behinderung in Ihrer Praxis beschäftigen? Lesen Sie unter Schwerbehinderung am Arbeitsplatz und in unserer Praxisinfo „Barrierefreie Arztpraxis“, wie der Arbeitsplatz eingerichtet werden sollte. Weitere wichtige Informationen gibt die Praxisinfo „Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen“.

 

Übrigens: Wenn Sie eine Praxis übernehmen oder gründen möchten, können Ihnen als Virchowbund-Mitglied unser Muster-Mietvertrag sowie unsere persönliche Rechtsberatung und Praxisberatung weiterhelfen. Hier finden Sie weitere Vorteile für Mitglieder sowie unsere Veranstaltungen für die erfolgreiche Praxisführung.

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