Barrieren abbauen (2): Arztpraxis fit machen für Menschen mit Seh-, Hör- und geistiger Einschränkung

Viele Ärztinnen und Ärzte klammern das komplexe Thema Barrierefreiheit am liebsten aus. Barrierefrei muss Ihre Praxis tatsächlich nicht unbedingt sein. Doch auch einzelne, unkomplizierte Maßnahmen können Personen mit Einschränkungen den Besuch in Ihrer Praxis deutlich leichter machen – und das hilft auch Ihnen.

 

Viele behinderte Menschen sind gesundheitlich schlecht versorgt. Oft liegt es daran, dass Arztpraxen nicht barrierefrei sind: Das Thema Barrierefreiheit wirkt auf viele Ärztinnen und Ärzten zu kompliziert, teuer und aufwändig als dass die Beschäftigung damit lohnend scheint. Sie sind als Ärztin oder Arzt auch nicht verpflichtet, Ihre bestehende Praxis barrierefrei zu gestalten. 

Doch Barrierearmut wird auch in Bezug auf eine immer ältere Gesellschaft künftig relevanter. Und: Manche Barrieren sind weder schwer noch aufwändig oder teuer zu beseitigen. Mitunter können Sie also mit sehr wenig schon viel erreichen.

Wie das gehen kann, zeigen wir mit diesem Beitrag, der Maßnahmen für Menschen mit Seh-, Hör- oder geistiger Behinderung in den Blick nimmt. Tipps zum Abbau von Barrieren für Menschen mit Gehbehinderung finden Sie unter dem Link.

 

Barrierefreiheit: Gesetzliche Grundlage

Grundsätzlich gilt seit 2002 bundesweit das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG). Es dient dazu, die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen durchzusetzen und fordert, dass Barrieren für Menschen mit Behinderungen schrittweise abgebaut werden. Laut Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sollen Benachteiligungen aus Gründen einer Behinderung verhindert und beseitigt werden.

Auch wenn Sie sich dafür interessieren, Ihre Praxis zum Beispiel auf schwerhörige Menschen zuzuschneiden, müssen Sie nicht unbedingt alle Maßnahmen dafür umsetzen. 

Wie Sie Barrieren für seh-, hör- oder geistig eingeschränkte Patientinnen und Patienten abbauen, stellen wir hier sortiert nach Einschränkung vor.

 

Weniger Barrieren für sehbehinderte Menschen

Wenn Sie Ihre Arztpraxis einfacher zugänglich für sehbehinderte Menschen machen wollen, finden Sie hier mögliche Wege, aufgegliedert nach Praxisbereich.

Eingang und Zugang

  • gut beleuchtete Zugangswege, keine Stolperstufen
  • gut lesbare Schrift für die Ausschilderung Ihrer Praxis
  • ausreichende Be- und Ausleuchtung, die nicht blendet
  • wichtige oder schwierige Stellen auffällig markieren (z. B. große Glasflächen, Stufen oder Türschwellen)
  • Stockwerkansage im Aufzug

In der Praxis

  • gut lesbare Beschilderung, keine Schnörkelschrift
  • Informationsmaterial in großer Schrift (mind. 12 Punkt)
  • Beleuchtung, die möglichst wenig blendet
  • Leselupe an der Anmeldung und für das Wartezimmer bereithalten

Wartezimmer

  • Teppiche fixieren oder entfernen (Stolperfallen)

Digitale Kommunikation

Digitale Kommunikation betrifft vor allem Ihre Homepage und den E-Mail-Versand.

  • Texte: Kurze Sätze und möglichst wenig komplizierte Wörtern machen das Lesen und Verstehen einfacher. Leichte Sprache ist eine gute Wahl. Nutzen Sie viele Absätze, sodass keine Textwüsten entstehen und auch Screenreader den Text gut wiedergeben können.
     
  • Bilder: Binden Sie Bilder in Ihre Homepage ein, werden Sie oft aufgefordert, einen Alternativtext einzugeben, der das Bild beschreibt. Halten Sie die Beschreibung so kurz wie möglich und so lang wie nötig. Für Technikaffine: Die Texte können Sie auch in den Quelltext Ihrer Webseite einbinden.
     
  • Audio/Video: Sie können sich für diese Inhalte Transkripte erstellen lassen und diese neben Audio/Video zum Einblenden oder Herunterladen auf der Webseite bereitstellen. Teilweise ist im generierten Transkript bereits eine Audiodeskription enthalten, die die Inhalte des Videos beschreibt. Mit bestimmten Playern, etwa dem Aktion Mensch Video-Player, können Sie eine Audiodeskription optional zuschaltbar machen.
     
  • Content-Management-System: Für eine barrierefrei gestaltbare Webseite sollte Ihr CMS entsprechend konfiguriert sein, also einige bestimmte Funktionen bereitstellen (z. B. dass Alternativtext für Bilder eingegeben werden kann). Dies ist bei den gängigen CMS möglich.

E-Mails können Sie ebenfalls einfach barrierefrei halten. Einige Tipps:

  • als „Nur-Text“ versenden, solange Sie reinen Text verschicken (einstellbar in E-Mail-Programmen)
  • Signaturen entweder ebenfalls  „Nur-Text“ versenden und mit „–“ beginnen, dann werden sie bei der Antwort von den meisten E-Mail-Programmen nicht angezeigt
  • vor dem Versand Barrierefreiheitsprüfung von E-Mail-Programmen wie Outlook nutzen, diese bietet Tipps
  • Tabellen mit fester Breite vermeiden

Weniger Barrieren für hörbehinderte Menschen

Folgende spezielle Anforderungen und Anpassungen können Sie zur Unterstützung Hörbehinderter in der Praxis einsetzen.

Eingang und Zugang

  • Gegensprechanlage an der Tür in erreichbarer Höhe (85-105 cm)
  • Automatische Türöffner mit sichtbarem Signal (z. B. Lampe an Gegensprechanlage oder Klingel)

In der Praxis

  • Klar, deutlich und etwas langsamer sprechen
  • Informationsmaterial, das sonst mündlich kommuniziert wird, zum Lesen anbieten
  • Ausschilderung der Räume und Gänge
  • Ergebnisse der Untersuchungen und Medikation klar und direkt erklären
  • Schriftliche Terminvereinbarung ermöglichen (E-Mail, SMS, Fax)

Technische Ausstattung

  • Mobiles Hörgerät bereithalten

Lesen Sie auch, wie eine barriereärmere Praxis für gehbehinderte Menschen aussieht und erhalten Sie Übersicht, Beispiele und weitere Information in der Praxisinfo „Barrierefreie Arztpraxis“. Die generellen Anforderungen an Praxisräume beschreiben wir an anderer Stelle. 

 

Weniger Barrieren für geistig behinderte Menschen

Nur etwa 1,5 % der Arztpraxen in Deutschland ist auf die Bedürfnisse geistig behinderter Menschen ausgelegt. Dabei ist es nicht unbedingt dauerhaft aufwändig, Ihre Praxis und -abläufe angemessen für diese Menschen zu gestalten. Allerdings kann der Zeitaufwand für die Behandlung steigen. Helfen können:

  • leichte Sprache (einfache Wörter, kurze Sätze, viele Bilder)
  • mehr Zeit Dinge zu erklären
  • Bildchen für Verhaltensanweisungen
  • mobile Einheiten bei Geräten, wenn möglich 

Auch die Praxisabläufe können barriereärmer gestaltet werden:

  • Begrüßen Sie Patienten mit Namen und stellen Sie sich ebenfalls mit Namen vor.
  • Fragen Sie, ob Ihr Gegenüber geduzt oder gesiezt werden möchte und bieten Sie ebenfalls das Du an, wenn es für Sie in Ordnung ist
  • Sprechen Sie bewusst klar und deutlich.
  • Bieten Sie konkrete Unterstützung und Hilfe aktiv an.
  • Nutzen Sie Informationsmaterial in großer Schrift und mit Bildern. Verwenden Sie z. B. für Flyer und Vordrucke eine Schriftgröße von mind. 12 Punkt und großen Zeilenabstand, aber keine Kursivschrift.
  • Erklären Sie Ergebnisse der Untersuchungen, Laborbefunde und Medikation.
  • Lassen Sie Raum für Nachfragen und ermuntern Sie dazu.
  • Wenn Sie den Raum verlassen, teilen Sie es dem Patienten mit. Teilen Sie mit, ob (und wie bald) Sie wiederkommen.
  • Ermöglichen Sie schriftliche Terminvereinbarung per E-Mail, SMS oder Online-Terminbuchung.

 

Allgemeine Hinweise rund um die Patientenkommunikation finden Sie auf unserer Seite. 

Sie möchten eine Person mit Behinderung in Ihrer Praxis beschäftigen? Lesen Sie alles Wichtige unter Schwerbehinderung am Arbeitsplatz und in unserer Praxisinfo „Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen“. Weitere Wichtige Informationen gibt die Praxisinfo „Barrierefreie Arztpraxis“

Tipp

Wenn Sie sich entschließen, Barrieren in Ihrer Praxis abzubauen, informieren Sie darüber. So erleichtern Sie es Menschen mit Beeinträchtigungen, Ihre Praxis zu finden, und Sie stellen eine Besonderheit Ihrer Praxis heraus – Stichwort Praxismarketing.

Gut zu wissen: Wenn Sie eine Praxis gründen oder übernehmen möchten, können Ihnen als Virchowbund-Mitglied unser Muster-Mietvertrag, knapp 100 weitere Musterverträge, Vorlagen und Praxisinfos sowie unsere persönliche Rechtsberatung und Praxisberatung weiterhelfen. Hier finden Sie weitere Vorteile für Mitglieder sowie unsere Veranstaltungen für die erfolgreiche Praxisführung.

Diesen Artikel teilen

Kommentare

Keine Kommentare

Kommentar schreiben

* Diese Felder sind erforderlich