Notfallbehandlung gemäß Leitlinien? Zahlt die Kasse nicht

Praxisberatung für Ärztinnen und Ärzte ist eine ernste Sache, immer abwechslungsreich – oft aber auch blanker Wahnsinn. So wie in diesem Fall aus unserer Praxisberatung:

Gratwanderung zwischen Leitlinien und Wirtschaftlichkeit: Bei aller Bemühung konnte diese junge Ärztin es nur falsch machen.

Jede einzelne Unterschrift auf einem Rezept birgt ein Risiko: den Regress. Besonders bei Arzneiverordnungen. Leider reicht es oft nicht, alles richtig zu machen, und das auch noch nachzuweisen. Denn manchmal liegt der Fehler außerhalb der eigenen Einflusssphäre. 

Und so sieht sich eine Ärztin plötzlich mit einer irrwitzigen Wirtschaftlichkeitsprüfung konfrontiert. Die Ursache für diese Prüfung dürfte es eigentlich gar nicht geben.

 

Jede Anästhesie ist individuell

Eine junge Ärztin ist Anästhesistin in eigener Praxis. Sie erbringt Vollnarkosen, Regional- und Lokalanästhesien. Ihre Klientel sind Patientinnen und Patienten, die von Ärzten anderer Fachrichtungen „mitgebracht“ werden, voruntersucht und aufgeklärt zur Operation erscheinen. 

Das Team um die Anästhesistin ist eingespielt, vorbereitet auf jeden Einzelfall: Ein Kind wird anders anästhesiert als ein Erwachsener, ein junger und gesunder Mensch anders als ein älterer mit Grunderkrankungen, und verschiedene Narkosearten und -mittel haben verschiedene Risiken und Nebenwirkungen – die Therapieentscheidung muss also für jeden Patienten individuell getroffen werden.

 

Vorbildlich auf den Notfall vorbereitet

Für jeden Fall wird – nach Wahl der passenden Narkose – vorgesorgt, falls doch einmal ein Notfall eintritt.

Das Notfallmanagement sitzt, wird regelmäßig überprüft und geübt. Die Ausrüstung ist auf dem neuesten Stand, die Notfallausstattung griffbereit, die Notfallmittel sind vorrätig. Qualitätsmanagement, stete Fortbildung, Austausch mit Fachgesellschaften, Lektüre neuester Erkenntnisse und Leitlinien – bei der Ärztin und ihrem Team sind die Prozesse eingespielt. 

Alles perfekt?

Nur fast … Ein kleines Detail wurde bei der umfassenden Vorbereitung übersehen. 

 

Notfallmedikamente sind unwirtschaftlich

Bei jeder Narkose werden Arzneien angewendet. Und natürlich müssen Notfallmedikamente zur Verfügung stehen. Das Antidot für den Notfall allerdings – das muss die Ärztin aus eigener Tasche zahlen

Warum? Sie hat übersehen, dass es nicht von der regionalen Sprechstundenbedarfsvereinbarung erfasst ist. 

Eine winzige Einzelheit, versteckt – aber teuer!

Da hilft keine Leitlinie. Keine Expertise von Fachgesellschaften. Keine Alternativlosigkeit des Notfallmedikaments im Einzelfall.

 

Wo liegt der Fehler wirklich?

Die Ärztin hat einen Bescheid wegen Unwirtschaftlichkeit und eine Aufforderung zur Stellungnahme bekommen. Die hat sie abgegeben, inhaltsreich, verständlich, fristgerecht. 

Es hat nur nichts gebracht. Der Bescheid belastet sie, wirft ihr Unwirtschaftlichkeit vor. 

Aber was ist mit der Inkompetenz der Partner der Sprechstundenbedarfsvereinbarung? Sie haben schlicht und ergreifend vergessen, an Notfälle zu denken. Das wird mit keinem Wort erwähnt. 

Es gab und gibt für die Ärztin also keine Möglichkeit, das Mittel auf Kosten der GKV zu beschaffen

In der SSB-Vereinbarung steht es nicht drin. Als Einzelrezept geht es nicht, weil es ja nicht für einen bestimmten Patienten beschafft wird, sondern für die Person, die es – im Notfall – braucht.

 

Und jetzt?

In Webinaren und Blogbeiträgen kläre ich Ärztinnen und Ärzte über die Regressgefahr rund um Sprechstundenbedarf auf. Ich begleite diese Ärztin (und viele ihrer Kolleginnen und Kollegen) auch gerne im weiteren Verfahren. Ein anderes, erfolgreich geführtes Verfahren zu Wirtschaftlichkeitsprüfung bei Sprechstundenbedarf habe ich bereits als Praxiswahnsinn Teil 7 besprochen.

Doch was bei mir hier zurückbleibt, ist Bitterkeit. 

Notfallmedikamente fallen ja nicht unter Luxus, sondern unter anständige Versorgung. Und genau darum geht es in diesem Verfahren – wie so oft – leider nicht. Stattdessen schlägt wieder einmal das Bürokratiemonster zu.

 

Sie haben ebenfalls Praxiswahnsinn erlebt?

Erzählen Sie uns davon – in den Kommentaren oder per E-Mail.

Die hier dargestellten Fälle sind aus der persönlichen Praxisberatung des Virchowbundes, gesammelt und aufgeschrieben von Margaret Plückhahn, unserer Praxis- und Niederlassungsberaterin.

„In meiner täglichen Beratungspraxis begegnen mir zuweilen Fälle, die auch mich nach über 30 Jahren Tätigkeit im Gesundheitswesen nur den Kopf schütteln lassen. Fälle, die die teils tragische Absurdität unseres Gesundheitssystems offenlegen. Fälle, die zum verzweifelten Seufzen, Weinen oder Lachen bringen – und die es verdient haben, dass sie öffentlich gemacht werden.“

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